Die Briefe "Plinus des Jüngeren"



Den Ablauf der Katastrophe können Wissenschaftler heute ziemlich genau rekonstruieren, aber wie gestalteten sich die menschlichen Schicksale? Was empfanden die Bewohner Pompejis im Angesicht des Todes? Hier gibt es zwei berühmte Briefe Plinus des Jüngeren, der die Katastrophe von Misenum aus miterlebte. Misenum liegt gut 25 Kilometer vom Vesuv entfernt und so kann man nicht behaupten, das er die Katastrophe aus nächster Nähe erlebte, doch seine Briefe an einem Freund seines Onkels sind die einzigen Berichte eines Augenzeugen, die uns erhalten geblieben sind.
Der erste Brief berichtet von einer Rettungsaktion seines Onkels, Plinius dem Älteren, der versuchte seinen Freund Pomponianus aus Stabiae zu retten. Hier nun einige Auszüge des Briefes:

"Er (Plinus der Ältere) befand sich gerade in Misenum, wo er persönlich das Komando über die Flotte führte. Am 24. August, ungefähr um ein Uhr mittags (scheinbar blieben die ersten Eruptionsphasen in Misenum ungesehen), berichtete ihm meine Mutter, es zeige sich eine Wolke von ungewöhnlicher Größe und Gestalt. Er hatte in der Sonne gelegen und anschließend ein kaltes Bad genommen und widmete sich nun seiner Arbeit. Er ließ sich seine Sandalen bringen und stieg auf eine Anhöhe, von wo aus man die wunderbare Erscheinung am besten betrachten konnte. Die Wolke stieg auf -für Zuschauer aus der Ferne war nicht zu unterscheiden, von welchem Berg; dass es der Vesuv war, erfuhr man erst später-, sie sah ihrer ganzen Gestalt nach nicht anders aus als ein Baum, und zwar wie eine Pinie. Sie hob sich nähmlich wie auf einem sehr hohem Stamm empor und teilte sich dann in mehre Äste. Sie zerfloss wohl deshalb in die Breite, weil sie durch den frischen Luftzug zunächst zwar in die Höhe getrieben wurde, durch ihr eigenes Gewicht aber wieder herabgedrückt wurde. Zuweilen erschien sie glänzend weiß, dann wieder schmutzig und fleckig, je nachdem sie Erde oder Asche mit sich führte.
Einem so bedeutenden Naturforscher wie meinem Onkel schien das Ereignis wichtig und einer näheren Betrachtung wert zu sein. Er ließ ein kleines Fahrzeug segelfertig machen und stellte mir anheim, ihn zu begleiten. Ich erwiederte, ich wolle lieber bei meiner Arbeit bleiben."

Eine weise Entscheidung Plinus des Jüngeren, denn die Fahrt seines Onkels sollte eine Reise ohne Wiederkehr werden. Plinus der Ältere stach in See und durchquerte den Golf von Neapel. Er war von den Geschehnissen so fasziniert, das er seine Beobachtungen diktierte und aufzeichnete. Für ihn stand der Wind günstig und gegen 16.00 Uhr erreichte er die Küste bei Herculaneum. Die Stadt war bereits verwüstet und eine Landung erschien unmöglich. Vor der Küste hatten sich Untiefen geblidet und auf seinem Boot prasselten Lavasteine nieder. So segelte er weiter nach Stabiae, dass er gegen 18.00 Uhr erreichte.

"Obgleich hier noch keine unmittelbare Gefahr bestand, spürte man sie doch schon, und wenn sie zunahm, war sie auch hier ganz nah. Pomponianus hatte seine Habseligkeiten bereits auf ein Schiff bringen lassen, fest entschlossen zu fliehen, sobald der widrige Wind sich gelegt hätte. Mein Onkel fuhr mit dem gleichen Wind, der für ihn sehr günstig war, dem Pomponianus entgegen, umarmte den Zitternden, tröstete ihn und ließ sich gleich ins Bad bringen, um die Angst des Freundes durch seine eigene Ruhe zu vertreiben. Nach dem Bade legte er sich zu Tisch, aß heiter oder, was ebenso großartig ist, scheinbar heiter. Indessen leuchteten vom Vesuv her an mehreren Stellen weite Flammenflächen und mächtige Feuersäulen, deren strahlender Glanz im Dunkel der Nacht noch heller wirkte."

Kurz darauf legte sich Plinius der Ältere zum Schlafen. In der Nacht tobte der Vesuv weiter und verschüttete das nur wenige Kilometer entfernte Pompeji völlig. Auch über Stabiae geht Asche und Lapilli nieder. Als der Hofraum im Hause des Pomponianus sich mit Asche füllt, weckt man Plinus, dessen Schnarchen die ganze Nacht über zuhören war.

"Er trat heraus und begab sich zu Pomponianus und den anderen, die geblieben waren. Gemeinsam berieten sie, ob sie im Hause bleiben oder im Freien auf- und abgehen sollten. Denn von vielen heftigen Erdstößen wankten die Häuser, gleichsam als seine sie aus dem Boden gerissen, und man hatte den Eindruck, als schwankten sie hin und her. Unter freiem Himmel fürchtete man allerdings das Herabfallen der freilich leichten und ausgebrannten Bimssteine. Beim Vergleich der Gefahren entschied man sich indessen für die zweite Möglichkeit. Mein Onkel folgte dabei der Überlegung, bei den anderen obsiegte nur eine Befürchtung die andere. Sie legten sich Kissen über den Kopf und banden sie mir Tüchern fest. Das war ein Schut gegen den Steinregen.
Schon war anderswo Tag, dort aber Nacht, dichter und schwärzer als alle Nächte bisher. Doch erhellten diese Nacht vielerlei Fackeln und allerhand Lichterscheinungen. Man entschloss sich, zum Gestade zu gehen, um aus der Nähe zu sehen, ob man sich schon auf das Meer hinauswagen könne;,es blieb aber immer noch wild und ungestüm. Hier legte sich mein Onkel auf ein hingebreitetes Tuch, verlangt wiederholt frisches Wasser und trank. Nun trieben die Flammen und der Vorbote des Feuers, der Schwefelgeruch, die anderen in die Flucht und veranlaßte ihn aufzustehen. Gestützt auf zwei Sklaven erhob er sich, brach aber sofort wieder zusammen. Ich vermute, der dichte Qualm hat seinen Atem gehemmt und ihm die Kehle zugeschnürt, die bei ihm ohnehin schwach und eng und häufig entzündet war. Als es wieder Tag wurde -es war der dritte Tag seit seinem Hingang-, fand man seinen Körper unversehrt, ohne Verletzung und in derselben Kleidung, die er zuletzt getragen hatte. Er glich mehr einem Schlafenden als einem Toten."

Der zweite Brief erzählt von den Erlebnissen Plinuius dem Jüngeren, der ja während des Ausbruches in Misenium geblieben war. Auch Misenium blieb nicht von den Auswirkungen des Ausbruches verschont:

"Nach dem Aufbruch meines Onkels verbrachte ich die übrige Zeit bei der Arbeit, um derenwillen ich zu Hause geblieben war. Dann das Bad, das Essen, ein unruhiger, kurzer Schlummer. Tagelang schon waren Erdbeben Vorausgegangen, die deshalb wenig Schrecken erregten, weil sie in Kampanien häufig sind. In jener Nacht nahm das Beben so an stärke zu, dass alles nicht mehr nur zu wanken, sondern umzustürzen schien."

Am nächsten Morgen beschließen Plinius der Jüngere -er war zu diesem Zeitpunkt 18 Jahre alt-, seine Mutter und ein Freund des Onkels aus dem Haus zu fliehen, da es einzustürzen droht.

"Eine fassungslose Menge schlß sich uns an, jenem Instinkt der Flucht gehorchend, der es für klüger hält, fremder Einsicht zu folgen als der eigenen; und nun drängten und stießen uns die Flüchtenden in endlosem Zuge vorwärts. Sobald wir die Häuser hinter uns hatten, machten wir halt. Ein neues Schauspiel erwartete uns mit seinen Schrecken. Die Wagen, die wir mitgenommen hatten, schwankten nach allen Richtungen, obwohl sie sich selbst auf ganz ebenen Gelände befanden, und selbst wenn man Steine vor den Rädern schob, blieben sie nicht auf der Stelle. Das Meer schien sich selbst aufsaugen zu wollen und wurde durch das Erdbeben gleichsam zurückgedrängt. Jedenfalls hatte sich der Strand verbreitert und viel Seegetier bedeckte den trockengelegten Sand. Auf der anderen Seite öffnete sich eine schreckliche schwarze Wolke, zerrissen durch plötzliche Feuerausbrüche, die kreuz und quer hervorschossen. Sie loderten in länglichen Feuergarben auf, Blitzen gleich, doch größer... .
Wenig später senkte sich die Wolke herab auf die Erde und bedeckte das Meer, sie umgab Capri, entzog die Insel unseren Blicken und verbarg das Vorgebirge von Misenum. Da flehte, mahnte und befahl meine Mutter mir, auf jeden Fall, ganz gleich wie, zu fliehen. Ich könnte es, weil ich jung sei; sie, beschwert von den Jahren und ihrer Korpulenz, werde zufrieden sterben, wenn sie nicht Ursache meines Todes wäre. Ich antwortete meinerseits, dass ich mich nur mit ihr zusammen in Sicherheit bringen wolle. Da regnete es Asche, wenn auch noch nicht sehr viel. Ich wandte mich um. Eine dichte Qualmwolke, die wie ein reißender Strom über die Erde dahinschoß, folgte uns drohend. `Wir wollen Ausbrechen´, rief ich, `solange wir noch etwas sehen, damit wir nicht auf der Straße in der Finsternis von der Menschenmasse ringsum zertrampelt werden.´ Wir hatten uns kaum niedergesetzt, da umhüllte uns bereits die Nacht, nicht eine mondlose oder von Wolken verdunkelte Nacht, sondern die Finsternis eines geschlossenen, lichtlosen Raumes. Man hörte das Heulen der Frauen, das Gewimmer der Kinder, die Schreie der Männer... . Aus Angst vor dem Tod riefen manche nach dem Tod. Viele hoben die Hände zu den Göttern; groß war die Zahl derer, die glaubten, es gebe keine Götter mehr und über die Welt sei die letzte, die ewige Nacht hereingebrochen."

Stunden kauerten die Flüchtlinge in der Finsternis und wir können uns nur schwer vorstellen wie schrecklich diese Stunden gewesen sein müssen. Schließlich wussten die wenigsten Menschen damals was ein Vulkanausbruch ist und die meisten müssen tatsächlich an den Weltuntergang geglaubt haben; eine Situation aus der es keine Rettung mehr gibt.

"... wieder fiel reichlich und schwer die Asche herab. Von Zeit zu Zeit mussten wir aufspringen und die Asche abschütteln, sonst hätte sie uns völlig bedeckt und durch ihr Gewicht erdrückt. Ich könnte mich rühmen, dass mir in einer so großen Gefahr keine Klage, kein Wort, welches ein Zeichen der Schwäche gewesen wäre, über die Lippen kam, wenn ich nicht der Überzeugung gewesen wäre, ich ginge mit allem und alles mit mir zugrunde, ein trauriger, jedoch großer Trost angesichts des Todes.
Endlich lichtete sich die Finsternis, der Qualm löste sich in eine Art Rauch auf. Bald wurde es wirklich Tag; die Sonne schien sogar, aber fahl wie bei einer Sonnenfinsternis."

So dramatisch die Geschehnisse in Misenum auch gewesen sein mögen, Sie waren wohl nichts im Vergleich zum schrecklichen Schicksal, dass jene Menschen in Pompeji ereilte. Wir müssen auch bedenken, dass Plinius die ersten Phasen der Katastrophe garnicht mitbekam. Denn der erste Ausbruch fand bereits gegen 10.00 Uhr statt. Als man gegen 13.00 Uhr in Misenum auf die Katastrophe aufmerksam wird, hatte der Vesuv bereits seinen Gipfel gesprengt und der Untergang Pompejis war bereits in vollem Gange.

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