Zwischen Grabenbruch und Ozean: Wie das Rote Meer die Geburt eines Weltmeeres offenbart
Das Rote Meer ist nicht nur Taucherparadies und wichtiger Schifffahrtsweg, sondern auch von enormer geologischer Bedeutung, denn tief unter der Wasseroberfläche des Roten Meeres findet ein besonderes Schauspiel statt: Die Geburt eines neuen Ozeans – und das schneller, als angenommen. Lange Zeit dachte man, dass das Rote Meer ein Binnenmeer ist, das erste Anzeichen zur Entwicklung in Richtung Ozean zeigt. Mehrere geophysikalische Studien belegen inzwischen jedoch, dass sich entlang des gesamten Roten Meeres bereits vor rund 13 Millionen Jahren ozeanische Kruste zu bilden begann. Damit reicht der Beginn der Ozeanbildung deutlich weiter zurück, als frühere Modelle vermuteten. Statt eines noch jungen, riftartigen Beckens zeigt sich das Rote Meer heute als bereits weiter entwickelter Ozean mit einem mittelozeanischen Rücken und stellt damit ein Lehrbuchbeispiel für den Übergang von kontinentaler Dehnung mit einer Krustenausdünnung zu echter Ozeanspreizung dar.
Seit einiger Zeit gilt das Rote Meer als geologisches Sondergebiet. Der schmale Meeresarm zwischen Afrika und der Arabischen Halbinsel markiert die Trennlinie zwischen der Nubischen und der Arabischen Platte. Hier driftet die Erdkruste auseinander, und entlang des Grabenbruchs tritt kontinuierlich frisches Magma empor, das beim Erkalten neue Kruste bildet. Dieses Prinzip ist aus der Theorie der Plattentektonik bekannt, doch nur an wenigen Orten auf der Erde lässt sich ein Ozean in so frühem Entwicklungsstadium beobachten wie hier.
Dennoch war lange unklar, wie weit dieser Prozess tatsächlich fortgeschritten ist. Die dicken Sedimentschichten und mächtigen Salzablagerungen, die den Meeresboden bedecken, erschweren geophysikalische Untersuchungen. Klassische Messungen liefern unter diesen Bedingungen kaum verwertbare Ergebnisse. Erst eine neue Generation von Datensätzen, die mit neusten Messmethoden gewonnen wurden – darunter hochauflösende Bathymetrie, seismische Profile und vor allem vertikale Schweremessungen – ermöglicht nun einen tieferen Blick unter die Sedimentdecke.
Das Bild, das sich dabei ergibt, verändert die bisherigen Vorstellungen grundlegend. Die jüngsten Studien zeigen, dass sich entlang der gesamten Länge des Roten Meeres durchgehende Strukturen finden, wie man sie auch aus anderen Regionen mit echter Ozeanspreizung kennt – etwa aus dem Mittelatlantik südlich von Island oder dem Gakkel-Rücken in der Arktis. Charakteristisch sind dabei langgestreckte vulkanische Rücken, steile Bruchzonen und lineare Schwereanomalien, die auf durchgängige magmatische Aktivität hindeuten. Auch sogenannte „Segmentation Trails“, Spuren älterer vulkanischer Aktivität neben der zentralen Spreizungszone, konnten in den Schwerefelddaten identifiziert werden.
Diese Strukturen sind Belege dafür, dass das Rote Meer längst kein bloßer kontinentaler Grabenbruch mehr ist, sondern ein echtes ozeanisches Becken. Seine tektonische Entwicklung steht damit auf einer Stufe mit etablierten Ozeanen – wenn auch in einem frühen Abschnitt ihrer Lebensgeschichte.
Die Prozesse im Roten Meer lassen sich zudem in einen größeren geologischen Zusammenhang einordnen. Südlich setzt sich die Zone aktiver Kontinentalspaltung im Ostafrikanischen Graben fort – dem Rift Valley –, wo sich der afrikanische Kontinent allmählich in mehrere Teile aufspaltet. Auch dort beobachten Geowissenschaftler eine Kombination aus tektonischer Dehnung und vulkanischer Aktivität, die langfristig zur Bildung neuer Ozeanbecken führen kann.
Eine direkte Verbindung besteht außerdem zum Golf von Aden, wo sich die tektonische Spreizungszone des Roten Meeres fortsetzt. Dort bewegen sich die Afrikanische und die Arabische Platte weiter auseinander, begleitet von der Entstehung junger ozeanischer Kruste. Gemeinsam mit dem Roten Meer bildet der Golf von Aden ein zusammenhängendes System aktiver Plattengrenzen, das im frühen Stadium eines neuen Ozeansystems steht – dem sogenannten „Afro-Arabischen Ozean“. Während im Rift Valley die Öffnung erst beginnt, hat sich im Golf von Aden bereits eine klar erkennbare mittelozeanische Struktur etabliert. Das Rote Meer liegt genau zwischen diesen beiden Entwicklungsstufen – ein tektonischer Übergangsraum, der die Dynamik ozeanischer Entstehung in Echtzeit dokumentiert.