Ätna: Nach Vulkanausbruch Diskussion um Sicherheit entbrannt

Dramatische Videos zeigen Flucht: Paroxysmale Eruption und pyroklastischer Strom werfen Frage nach der Sicherheit am Ätna auf

Nach dem starken paroxysmalen Vulkanausbruch am Ätna, in dessen Folge ein pyroklastischer Strom entstand, der erst ins Valle del Leone und dann ins Valle del Bove floss, sind nun Diskussionen um die Sicherheit am Vulkan entbrannt. Diese werden vor allem in den sozialen Netzwerken geführt, dürften hinter verschlossenen Türen aber auch in den zuständigen Behörden und bei Tourenanbietern geführt werden. Grund für diese Diskussionen ist nicht allein die Tatsache, dass es einen Vulkanausbruch gab, sondern dass bei schönstem Wetter viele Vulkanwanderer unterwegs waren, denen der pyroklastische Strom sehr nahe gekommen ist. Teils dramatisch wirkende Videos wurden veröffentlicht, die zahlreiche flüchtende Wanderer zeigen.

Ein Videoclip -den ich gestern schon zeigte- dokumentiert die panische Flucht einer großen Gruppe bzw. mehrere geführter Wandergruppen in unmittelbarer Nähe zum pyroklastischen Strom. In Anbetracht dieser Bilder grenzt es an ein Wunder, dass es keine Todesopfer oder ernsthaft verletzten Personen jenseits von verstauchten Knöcheln gab. Wenn ich es richtig interpretiere flüchteten die Menschen über die Ascherutsche unterhalb des Pizzo Deneri und waren nicht unmittelbar in Lebensgefahr, doch zum Zeitpunkt des Abganges des pyroklastischen Stroms konnte man das sicherlich nur schwer einschätzen und die Fluchtreaktion war gerechtfertigt.

Im Jahr 2006 bin ich am Ätna in eine ähnliche Situation geraten, mit dem Unterschied, dass ich direkt vor dem Südostkraterkegel stand. Zum Glück erkannte ich die Gefährlichkeit der Situation und habe ca. 10 Minuten vor dem Abgang eines größeren pyroklastischen Stroms -der aber deutlich kleiner war als der aktuelle- die Gefahrenzone rennend verlassen und war gerade außer Reichweite des Stroms, als er abging.

Das INGV veröffentlichte heute einen Artikel nebst ausführlicher Erklärung, nach der die Vulkanologen des Observatoriums durchaus in der Lage sind, Paroxysmen in einem sehr frühen Aufbaustadium zu erkennen und auch davor zu warnen. Nur leider werden diese Warnungen nicht an die Öffentlichkeit weitergegeben, sondern versickern unbeachtet beim Zivilschutz. Ein System, diese Warnungen an Anwohner und Touristen auszugeben, fehlt.

Das Früherkennungssystem des INGV basiert auf einer KI, die Messdaten der 160 Überwachungsstationen auswertet, die am Ätna installiert sind. Damit zählt der Vulkan zu den am besten überwachten Feuerbergen der Welt. Es gibt auch ein teils automatisiertes Warnsystem, das die Informationen an den Zivilschutz weiterleitet, so dass die Öffentlichkeit bereits einige Stunden vor einem Paroxysmus vor dem Ausbruch gewarnt werden könnte.

KI-Basiertes Frührwarnsystem am Ätna.

Das schreibt das INGV zu den Vorgängen am 2. Juni (Zusammenfasung):

Bereits vor dem Ereignis schlug das Frühwarnsystem ETNAS (ETna iNtegrated Alert System) des INGV-Observatoriums Alarm. Es zählt zu den modernsten seiner Art weltweit und kombiniert Daten aus über 160 geophysikalischen und geochemischen Messstationen am Ätna. Das System basiert auf einem Machine-Learning-Algorithmus, der Veränderungen in Echtzeit erkennt und je nach Gefahrenlage verschiedene Warnstufen (F1, F2, I0, I1) ausgibt.

ETNAS unterscheidet dabei zwischen zwei Eruptionsszenarien: Lavafontänen (F-Warnungen) und magmatische Intrusionen (I-Warnungen). Bei letzterem wird ein möglicher Bruch an der Oberfläche durch aufsteigendes Magma angezeigt. So konnte etwa 2018 ein Eruptionsspalt 20 Minuten vor dem tatsächlichen Aufbrechen korrekt vorhergesagt werden.

Im aktuellen Fall wurde frühzeitig die höchste Warnstufe F2 aktiviert, was auf eine unmittelbar bevorstehende oder bereits laufende paroxysmale Eruption hinweist. Die automatische Alarmierung erfolgte über E-Mail und SMS an Katastrophenschutz und regionale Behörden – ein entscheidender Zeitvorsprung, um Schutzmaßnahmen einzuleiten.


Allerdings gibt es auch jenseits des KI-basierten Warnsystems Hinweise auf einen Paroxysmus, die selbst von ambitionierten Vulkanspottern und Hobbyvulkanologen erkannt werden: In der Regel gehen Paroxysmen mit strombolianischen Explosionen einher, die oft Stunden oder sogar Tage im Voraus beginnen. Jedoch gipfelt nicht jede strombolianische Aktivität in einem Paroxysmus mit Lavafontänen, Aschewolken und Lavaströmen. Ein relativ verlässlicher Indikator ist ein rapider Anstieg des seismischen Tremors. Um Fehldeutungen zu vermeiden, wurde ein Schwellenwert definiert, der den „Point of no Return“ markiert – jenen Bereich, ab dem fast sicher mit einem größeren Ausbruch zu rechnen ist. Diese Erkenntnisse sind in der Szene seit etwa 2014 bekannt, werden nun aber durch die KI automatisch erkannt und verarbeitet.




Das trügerische an dem Paroxysmus vom 2. Juni bestand darin, dass sich der Ausbruch drei Wochen nach einer vergleichsweise mild verlaufenden Eruptionsserie manifestierte. So dachten auch erfahrene Vulkanbeobachter, es würde sich um eine Fortsetzung dieser Aktivität handeln. Wäre ich selbst am Vulkan gewesen, wäre ich auch ziemlich nahe herangegangen um gute Fotos zu schießen. Unklar bleibt bis jetzt, ob das Früherkennungssystem des INGV es besser wusste und die Gefahr erkannte: der pyroklastische Strom ging ziemlich unvermittelt ab ohne dass es zuvor eine paroxysmale Hauptphase gegeben hätte. Diese baute sich erst im Zuge des Abgangs auf.

Wichtig wäre es nun, die Informationen über den Vulkanzustand an die Öffentlichkeit zu transportieren, am besten mit den Systemen, die ich schon in meinem letzten Artikel beschrieb. Cellbroadcast ist da meiner Meinung nach das zeitgemäße System der ersten Wahl. Darüber hinaus müssten besonders gefährdete Regionen deutlich markiert werden, damit Vulkanwanderer wissen auf was sie sich einlassen. Tatsächlich wurden jüngst vor dem Gipfelbereich neue Warnschilder aufgestellt, doch anderorts fehlen diese. Nach wie vor bin ich gegen generelle Besteigungsverbote und allumfassende Sperrungen, aber für mehr Information und Aufklärung.