Erdkern drehte scheinbar seine Rotationsrichtung um

Der innere Erdkern verändert seine Rotationsrichtung – ein Rätsel in 5000 Kilometern Tiefe

In den letzten Tagen berichteten verschiedene Internetmedien vermehrt, dass der innere Erdkern seine Rotationsgeschwindigkeit und Richtung geändert habe. Mehrere Leserinnen und Leser fragten mich daraufhin nach möglichen Auswirkungen auf die Erde. Vorweggenommen: Falls es Effekte gibt, dürften sie sehr gering sein.




Schnitt durch die Erde. © Shutterstock

Grundlage der Berichte ist eine Forschungsarbeit eines internationalen Teams unter Leitung der Chinesischen Akademie der Wissenschaften in Peking, an der auch die University of Southern California beteiligt war. Laut der Studie, die 2024 bei nature.com erschien, hat der feste innere Kern aus Eisen und Nickel nicht nur seine Rotationsgeschwindigkeit verändert, sondern scheint sich aus Sicht der Erdoberfläche seit etwa 2008 in die entgegengesetzte Richtung zu drehen.

Direkt beobachten lässt sich der fast mondgroße Kern nicht, da er mehr als 5000 Kilometer unter Mantel und äußerem Kern liegt. Hinweise liefert die Seismologie: Erdbebenwellen durchdringen das Erdinnere und geben Aufschluss über dessen Struktur und Dynamik. Besonders aussagekräftig sind PKIKP-Wellen, die an der Grenze zwischen äußerem und innerem Kern reflektiert werden. Werden wiederkehrende Erdbeben, sogenannte „Repeater“, miteinander verglichen, lassen sich selbst kleinste Veränderungen erkennen.

Für ihre Analyse untersuchten die Forschenden 121 solcher Ereignisse zwischen 1991 und 2023 in der Region der South Sandwich Islands. Messstationen in Alaska und Kanada zeigten ein klares Muster: Zwischen 2003 und 2008 rotierte der Kern schneller als die Erdkruste („Superrotation“). Danach verlangsamte er sich deutlich und drehte sich aus unserer Sicht rückwärts („Subrotation“). Wichtig ist: Der Kern hat seine Rotationsrichtung nicht tatsächlich geändert; die scheinbare Umkehr entsteht, weil sich der innere Erdkern nun langsamer als die Erdkruste dreht. Die Forscher vermuten, dass solche Richtungswechsel Teil eines 60- bis 70-jährigen Zyklus sind. Eine neue Erkenntnis ist, dass die Subrotation langsamer verläuft als die Superrotation, was bisherige Modelle gleichmäßiger Pendelbewegungen infrage. Vielmehr deutet alles auf ein komplexes Zusammenspiel von Mantel, äußerem und innerem Kern hin, bei dem auch das Magnetfeld eine Rolle spielt.

Als mögliche Auswirkungen der Erdkernverlangsamung werden Einflüsse auf das Magnetfeld und minimale Änderungen der Tageslänge diskutiert. Außerdem könnte es langfristig betrachtet Auswirkungen auf Vulkanismus und Erdbeben geben.

Ich persönlich halte die möglichen Effekte für sehr gering. Die Geschwindigkeitsunterschiede der Erdkernrotation sind minimal und liegen in der Größenordnung von Bruchteilen eines Millimeters pro Sekunde. Zum Vergleich: Ein Punkt auf der Erdoberfläche am Äquator bewegt sich infolge der Erdrotation mit 463 000 mm/s, was 463 m/s bzw. 1667 km/h (Überschallgeschwindigkeit) entspricht. Der Geschwindigkeitsunterschied zwischen Kern und Erdkruste liegt zwischen 0,02 und 0,07 mm/s (je nach Phase der Rotation). Damit rotiert der Erdkern ein Hundertmillionstel langsamer als die Erdoberfläche. Die minimalen Laufzeitunterschiede sind vor allem vom akademischen Interesse und dürften keine umwälzenden Veränderungen auf unsere Lebenswelt ausüben.

(Quelle der Studie: https://www.nature.com/articles/s41586-024-07536-4. Bei den Berechnungen hat mir eine KI geholfen)