Im September 2019 begann der Ätna mit Eruptionen aus dem Nordostkrater und der Voragine. Als die Eruptionen anfingen war der Gipfelbereich des Vulkans in dichten Wolken gehüllt und der Vulkanausbruch fand unter Ausschluss der Weltöffentlichkeit statt. Tremor und Wärmestrahlung waren sehr hoch und die Daten deuteten auf eine paroxysmalen Eruption hin. Allerdings gab es von Seiten der Vulkanologen keine Bestätigung für einen starken Ausbruch. Als sich die Wolken lichteten war der Tremor zwar noch erhöht, lag aber deutlich unterhalb seiner Spitzenwerte. Das INGV berichtete von anhaltender Bebentätigkeit unter dem Zentralkraters. Dieser war strombolianisch aktiv. Das Besondere: die Eruptionen wurden nicht in der Bocca Nuova generiert, sondern in der Voragine, die seit einigen Jahren inaktiv gewesen war. Das und die Hoffnung auf eine größere Eruption, machte mich neugierig und lockte mich zum Vulkan.
Ich erreichte den Ätna pünktlich zum Vollmond am 14. September. Es war Samstagabend und die Strassen am Berg waren ungewöhnlich voll: eine Karawane von Autos schob sich durch die engen Gassen von Nicolosi, wo ich noch ein paar Lebensmittel für meinen Ausflug auf den Feuerberg kaufen wollte. Nach einer gefühlten Ewigkeit fand ich einen Parkplatz, doch leider waren die Geschäfte bereits zu, so dass ich Pizza tanken musste. Mit Selbiger im Gepäck machte ich mich anschließend auf den Weg Richtung Astronomisches Observatorium, in dessen Nähe ich einen meiner Lieblingsschlafplätze am Ätna bezog. Auch wenn es im Fiat Panda nicht gerade geräumig zuging, verspeiste ich meine Pizza immerhin mit Blick auf die Kraterlandschaft des Gipfels und den Eruptionen aus der Voragine. Gelegentlich wurde die glühende Tephra bis zu 300 m über Kraterhöhe ausgeworfen und landete auf der Außenflanke des Kraterkegels. Das machte einen Aufstieg zum Gipfel nicht gerade ungefährlicher. Nichtsdestotrotz machte ich mich am Sonntagmittag auf den Weg und erreichte das Torre del Filosofo pünktlich mit dem Abzug der Vulkanführer. Mein Rucksack war wiedermal zu schwer: neben Drohne und Kamera hatte ich meine Campingausrüstung zu schleppen, denn ich wollte die Nacht auf dem Vulkan verbringen. Unangenehm überrascht war ich von der Tatsache, dass die Piste um die Gipfelkrater noch von dem Lavastrom unterbrochen war, der im Juni aus dem Neuen Südostkrater eruptiert wurde. Durch die Aa-Lava führte allerdings ein schmaler Pfad, dessen Spur ich im Abendlicht folgte. Am Ende des gut 1 km langen Pfads kam mir ein reichlich frustrierte Mountainbiker entgegen, der von Ätna-Nord kommend den Vulkan queren wollte. Der junge Mann war im kurzärmligen Trikot unterwegs und hatte Null Ausrüstung dabei. Als ich ihm erzählte, wie lang der Pfad sei, klappte sein Kinn Richtung Brust. Mir war zwar bekannt, dass man sich hier oben ohne Führer nicht aufhalten durfte, doch scheinbar gab es im Norden des Vulkans keinen Hinweis darauf, dass der Weg an seinem anderen Ende gesperrt und auf Rädern unpassierbar war. Dem Fahrradfahrer blieb nichts anderes übrig, als seinen Drahtesel durch das unwegsame Gelände zu tragen und einen Sturz auf die Aa-Lava zu riskieren.
Als die Sonne unterging startete ich zum ersten Drohnenflug. Ich ließ die Mavic am Rande ihrer Reichweite über die Bocca Nuova schweben. Die kleine Kamera kam im schnell abnehmenden Licht, ebenso schnell an ihre Grenzen. So beschloss ich mein Biwack zu errichten und am nächsten Morgen weiterzufliegen. Ich verbrachte die Nacht im Schutze eines großen Felsens am Fuß der Voragine. Am Morgen ließ ich die Drohne erneut aufsteigen und steuerte sie über den Krater. Auf dem Display erkannte ich zum ersten Mal, dass ein neuer Kraterkegel in der Voragine wuchs. Ich beschloss mir den Kegel vom Kraterrand aus anzusehen und folgte dem Pfad hinauf zum Gipfel, wohl wissend, dass ich dabei in die Impakt-Zone größerer Tephra gelangen würde. Doch wenige Minuten später war ich dann schon von der Größe der Brocken überrascht, die da den Pfad zertrümmert hatten: einige der Bomben und Flatschen waren gut 1 m lang. Wäre ein schönes Foto gewesen, doch ich kniff die Arschbacken zusammen und machte, dass ich aus der Todeszone raus kam. Während der Morgendämmerung waren hier glühende Bomben gelandet, auch wenn die kapitalen Brocken während der Initialphase der Eruption gefördert worden sein dürften, konnte ich auf Beschuss gut verzichten. Die Traverse querte die Flanke der Voragine und endete oben am Rand der Bocca Nuova. Hier befand ich mich zwar außerhalb der unmittelbaren Impakt-Zone, dafür lag aber der Dampf gefüllte Kessel der BN zwischen mir und dem Intrakraterkegel. Kurzum: das Licht war beschissen und ich beschloss wieder abzusteigen. Es galt noch den Lavastrom zu queren und nicht den Führern in die Arme zu laufen, die mit dem morgendlichen Touristenstrom den Vulkan sicherer machen sollten.
Am nächsten Tag stattete ich dem Gipfel zur Abendstunde einen erneuten Besuch ab, diesmal allerdings mit leichterer Ausrüstung. Ich marschierte auf die Bocca Nuova hoch, die immer noch komplett verdampft war: die Schattenseite der Windstille, die eigentlich ein Teil meiner Motivation zur Reise ausgemacht hatte. Gut 2 Stunden beobachtete ich die Eruptionen, die im Abstand von einigen Minuten erfolgten. Ich stand am Abgrund des Kraters und zu meinen Füssen musste sich ein Förderschlot befinden, den ich nicht einsehen konnte. Ein tiefes Grollen und der Schein von Rotglut ließen mich zusammenzucken. Ein einzelner Lavabrocken flog bis auf meine Augenhöhe: die Bocca Nuova machte Anzeichen zu erwachen, was mich dann doch ein wenig nervös machte. Wenig später begann auf der Nordseite des neuen Kegels ein kleiner Lavastrom zu fließen. Dort unten war es schön warm, hier oben am Kraterrand, wurde es hingegen langsam kühl und ich trat den Rückzug an. Im Schein des Vollmondes verließ ich die Gipfelregion, querte den Lavastrom erneut und machte mich an den finalen Abstieg.
An meinem letzten Tag am Ätna übernachtete ich im Norden des Vulkans. Landschaftlich ist es hier weitaus reizvoller als im Süden: dichte Pinienwälder und Birken erstrecken sich bis auf gut 2200 m Höhe. Erst dann geht es steil bergauf auf den Pizzo Deneri. Am Monte Sartorio ließ ich nochmal eine Drohne aufsteigen und machte mich Abends auf den Weg zum Flughafen. Dichte Wolken waren aufgezogen und Blitze zuckten überall vom Himmel. Strassen verwandelten sich in Sturzbäche. Mir schwante, dass es wohl erstmal nichts mit dem Fliegen werden würde. So war es dann auch. Die Maschine landete mit 2 Stunden Verspätung in Catania. Aufgrund des Nachtflugverbots in Düsseldorf, wurden wir nach Münster umgeleitet und mit Bussen nach Düsseldorf gekarrt. Das Ganze natürlich ohne jeglicher Verpflegung von Seiten der Fluggesellschaft Condor. Mit Stunden Verspätung stand ich dann dort gestrandet, denn es ging weder der Skytrain zum Bahnhof, noch der versprochene Shuttlebus: Welcome back in in der Servicewüste Deutschland!