Ätna: Gegenseitige Schuldzuweisungen nach Vulkanausbruch

Massentourismus am Ätna: Auf 2500 m wartet man an der Seilbahnstation geduldig auf den Geländebus. © Marc Szeglat

Aufreger des Tages: Behörden und Seilbahnchef regen sich über unvorsichtige Touristen auf und veröffentlichen Schuldzuweisungen

Catania, 05.06.2025Nach dem paroxysmalen Vulkanausbruch am 2. Juni, bei dem ein pyroklastischer Strom entstand, der ins Valle del Bove abfloss und Touristengruppen gefährlich nahekam, veröffentlichten Behördenvertreter sowie der Betreiber der Seilbahn Schuldzuweisungen – und zwar gegen Touristen, denen sie unverantwortliches Verhalten vorwarfen.

Die Stellungnahmen, die zuerst in italienischen Medien erschienen, sind aus meiner Sicht eine beispiellose Frechheit. Sie zeugen vom Versagen der Behörden und scheinen vor allem aus der Angst geboren zu sein, dass es zu signifikanten Einschränkungen des Tourismusbetriebs am Ätna kommen könnte, die dem Massentourismus abträglich wären.

Seilbahnbetreiber Ätna Süd macht Touristen und Führern von Ätna Nord Vorwürfe

Konkret erklärte Francesco Russo Morosoli, Leiter der Seilbahn am Ätna-Süd, es sei „nicht hinnehmbar“, dass dem Image des sizilianischen Tourismussektors ein derart großer Schaden zugefügt worden sei. Er spielte damit auf die Videos und Bilder an, die Touristen auf dem Grat der Serra delle Concazze zeigen, wie sie vor dem pyroklastischen Strom flüchten. Morosoli sagte wörtlich:

Die im Internet kursierenden Fotos und Videos versetzen unserem Ruf einen schweren Schlag. Die Behörden müssen unbedingt eingreifen, um dem Mangel an Regeln am Nordhang unseres Vulkans Einhalt zu gebieten. Die Regeln gelten für alle, und wir müssen dafür sorgen, dass sie nicht missachtet werden.“

Er betonte zudem, dass sich die Verantwortlichen der Touristenstation auf Ätna-Süd an sämtliche Vorschriften gehalten hätten und der Seilbahnbetrieb sofort eingestellt worden sei, als der Vulkanausbruch bekannt wurde. Allerdings verschwieg er, wann genau ihm der Ausbruch gemeldet wurde. Die Eruption begann bereits in den frühen Morgenstunden – streng genommen hätte die Seilbahn an diesem Tag gar nicht erst öffnen dürfen.

Aus eigener Erfahrung weiß ich: Selbst während laufender Paroxysmen werden noch Touristen auf den Berg gebracht. Ich selbst habe bisher nur eine einzige Evakuierung der Zone oberhalb von 2500 Metern Höhe erlebt – und das auch nur, weil sich ein Paroxysmus und ein Unwetter gleichzeitig ereigneten. Unter normalen Umständen besteht dort tatsächlich kaum Gefahr – bis zu einer Höhe von etwa 2700 Metern gilt das Gelände als relativ sicher. Außer, es herrschen außergewöhnliche Umstände – wie an jenem Montag.

Dem Tourismus auf der Nordseite des Ätna nun Anarchie vorzuwerfen, halte ich für völlig überzogen. Dort gibt es keine Seilbahn, die Gruppen werden mit geländegängigen Fahrzeugen bis zum Observatorium am Pizzo Deneri gebracht. Auch dort bedarf es außergewöhnlicher Umstände, um in ernste Gefahr zu geraten.

Zwar existieren im Bereich der Serra delle Concazze beliebte Wanderrouten, die sowohl von Individualtouristen als auch von kleinen Gruppen mit Führern begangen werden, aber Hinweise auf etwaige Zugangsbeschränkungen sucht man entlang der Wege vergeblich. An manchen Parkplätzen stehen zwar allgemeine Schilder, die auf den aktiven Vulkanismus hinweisen, doch eine Webadresse oder Telefonnummer, unter der man sich tagesaktuell informieren könnte, fehlen. Von einem funktionierenden Informations- oder Warnsystem ganz zu schweigen. Wo, bitte schön, sollen sich Touristen erkundigen?




Katastrophenschutzchef delegiert Verantwortung an Touristen

Und dennoch meinte Salvo Cocina, Generaldirektor des sizilianischen Katastrophenschutzes, gegenüber der Presse:

Der Zugang zur Vulkanspitze war bereits seit Montag um 5:30 Uhr verboten. Leider haben sich viele nicht daran gehalten.“ Er ergänzte noch, „zum Glück ist nichts passiert“.

Für mich ist diese Bemerkung ein No-Go. Zum einen hielten sich die Flüchtenden nicht auf der Vulkanspitze auf, sondern waren kilometerweit davon entfernt. Zum anderen hat der Zivilschutz keine einzige öffentliche Warnung ausgesprochen, sondern die Einschätzungen der Vulkanologen schlicht ignoriert. Vielleicht wurden einige Bürgermeister rund um den Ätna informiert – aber nicht die Vulkanwanderer am Vulkan. Die Vorgänge zeigen, dass sich die Verantwortlichen auf Sizilien mental näher bei Nordafrika befindet als bei Europa: Man ist weder bereit Verantwortung zu übernehmen, noch in der Lage bzw. Willens ein vernünftiges Warn- und Informationssystem aufzubauen, damit Vulkanwanderer eigenverantwortlich entscheiden können ob sie eine Tour antreten wollen oder nicht. Letztendlich droht die Gefahr, dass der Zugang wie am Stromboli einfach dauerhaft untersagen wird.