Mitten in der Kornkammer der Türkei tut sich der Boden auf – Zunahme der Dolinenbildung hat sich signifikant verstärkt
In der weiten Ebene Zentralanatoliens, dort wo Weizenfelder und Zuckerrübenplantagen das Bild prägen, wächst eine stille Gefahr. Immer häufiger reißt der Boden plötzlich auf, kreisrunde Löcher entstehen, teils dutzende Meter tief und breit genug um Landwirtschaftsgeräte und sogar Häuser zu verschlingen. Was lange als seltene geologische Kuriosität galt, hat sich in den vergangenen Jahren zu einem ernsten Problem entwickelt: Sinklöcher, sogenannte Dolinen, breiten sich in alarmierendem Tempo aus.
Eine neue Untersuchung der türkischen Katastrophenschutzbehörde AFAD zeigt das Ausmaß der Entwicklung. Insgesamt 684 Erdabsenkungen wurden im Konya-Becken kartiert, dem landwirtschaftlichen Herzstück des Landes. Besonders betroffen ist der Bezirk Karapınar, wo sich die Dolinen wie Narben durch die Felder ziehen. Allein im vergangenen Jahr dokumentierten Forschende der Technischen Universität Konya 42 neue Einsturzstellen – eine Zahl, die den drastischen Wandel verdeutlicht. Noch vor wenigen Jahrzehnten trat ein solches Phänomen nur alle paar Jahre auf.
Die Ursachen sind vielschichtig, doch die Richtung ist klar. Anhaltende Dürren und steigende Temperaturen, verstärkt durch den Klimawandel, haben die Wasserreserven der Region stark geschwächt. Gleichzeitig wird Grundwasser in großem Stil für die Bewässerung abgepumpt. Der Grundwasserspiegel ist in manchen Gebieten seit den 1970er-Jahren um mehrere Zehnermeter gefallen. Mit dem Wasser verschwindet auch der Druck, der unterirdische Hohlräume in den kalk- und gipshaltigen Gesteinen stabilisiert. Das Ergebnis: Der Untergrund kollabiert, die Oberfläche bricht ein.
Ein direkter Zusammenhang mit aktiver Tektonik gilt unter Geologen als unwahrscheinlich. Erdbebenserien oder großräumige Bruchbewegungen fehlen hier, inmitten der Anatolischen Platte. Dennoch spielt die geologische Struktur eine indirekte Rolle. Alte Störungszonen und Klüfte wirken wie natürliche Schwächezonen und lenken Grundwasserströme und genau in diesen Bereichen entstehen bevorzugt die unterirdischen Hohlräume, die später einstürzen.
Noch treffen die meisten Dolinen landwirtschaftliche Flächen, doch das Risiko wächst. Straßen, Bewässerungsanlagen und langfristig auch Siedlungen könnten betroffen sein. AFAD arbeitet inzwischen an detaillierten Risikokarten und Frühwarnsystemen. Klar ist jedoch: Ohne eine nachhaltigere Wasserbewirtschaftung droht Zentralanatolien, seine fruchtbaren Böden buchstäblich zu verlieren – Loch für Loch.
