Erdbebenforschung: Fernwirkung von Erdbeben nachgewiesen

Erdbeben lösen Erdbeben aus: Fernwirkung starker Beben kann lokale Spannungen und Erschütterungen in Deutschland verursachen

Eine aktuelle wissenschaftliche Studie aus Deutschland untersucht, wie entfernte, starke Erdbeben lokale Spannungsänderungen und damit verbundene Erdbeben in der Niederrheinischen Bucht (NRE) auslösen können. Dieses Phänomen, bei dem seismische Wellen großer Erdbeben selbst weit entfernte Verwerfungen kurzfristig aktivieren, wird als „dynamische Fernauslösung“ bezeichnet.




Die Studie analysierte 23 bedeutende Erdbeben weltweit, deren seismische Wellen im Raum Weisweiler (NRW) messbare Bodenbewegungen verursachten. Die Magnituden dieser Beben reichten von 5,4 bis 9,1, die Entfernungen vom Epizentrum lagen zwischen 50 und über 12.000 Kilometern. Dabei konnten kurzfristige Spannungsänderungen von bis zu 26 Kilopascal festgestellt werden – ausreichend, um empfindliche Verwerfungen in Bewegung zu bringen.

Besonders deutlich zeigte sich die Wirkung bei vier starken Erdbeben: dem Roermond-Beben 1992 in den Niederlanden, dem Alaska-Beben 2021, dem Kahramanmaraş-Beben 2023 in der Türkei und dem Kamtschatka-Beben 2025 in Russland. Nach diesen Ereignissen stieg die Erdbebenaktivität in der Niederrheinischen Bucht signifikant an. So löste das Roermond-Beben zahlreiche Nachbeben im Umfeld der Verwerfungen Feldbiss und Sandgewand aus.

Interessanterweise zeigte nicht jedes große Erdbeben eine solche Wirkung: In 19 von 23 Fällen blieben messbare Veränderungen aus. Dies verdeutlicht, wie komplex die Auslösebedingungen sind und dass die lokale Anfälligkeit von Faktoren wie der Ausrichtung der Verwerfung, dem Spannungszustand und den geologischen Gegebenheiten abhängt.

Die Forscher betonen, dass keine einfache Spannungsschwelle für die Auslösung existiert, sondern vielmehr eine Kombination aus linearen und nichtlinearen Prozessen verantwortlich ist. Dennoch können bereits dynamische Spannungsspitzen ab etwa 1,4 Kilopascal Erdbeben auslösen.

Die Erkenntnisse sind insbesondere für industrielle Betriebe in der Region wichtig, um das seismische Risiko besser einzuschätzen und potenzielle Schäden durch plötzliche Verwerfungsbewegungen zu minimieren.

Aktuelle Beobachtungen zur Erdbebenfernwirkung

Laacher-See-Vulkan. © EMSC

Tatsächlich lassen sich solche Fernwirkungen von Erdbeben auch im aktuellen Tagesgeschehen beobachten: Kurz nach Veröffentlichung der Studie ereignete sich am Laacher-See-Vulkan, der Unweit des Studiengebiets liegt, ein bislang einmaliger Erdbebenschwarm am Westufer nahe des Klosters Maria Laach. Dieses Ereignis sorgte für mediale Aufregung, da befürchtet wurde, es könnte ein Anzeichen für eine bevorstehende Eruption sein. Unbeachtet blieb jedoch, dass rund 2 Stunden und 40 Minuten vor dem Erdbebenschwarm ein starkes Erdbeben der Magnitude 7,4 bei den Philippinen stattfand. Die Erdbebenwellen hatten somit ausreichend Zeit, Deutschland zu erreichen und möglicherweise das Schwarmbeben am Laacher-See-Vulkan auszulösen, wo es aber bestimmt vor dem Ereignis schon Spannungen infolge von Fluidaufstieg gegeben hat.

Zwar stellt die zeitliche Korrelation keinen wissenschaftlichen Beweis für einen direkten Zusammenhang dar, doch kann dieser auch nicht ausgeschlossen werden. Während ich diese Zeilen schreibe, beobachten wir eine vergleichsweise hohe seismische Aktivität in Deutschland und den angrenzenden Ländern, unter anderem in der französischen Vulkanregion der Auvergne. Vorausgegangen waren zwei starke Erdbeben in Japan mit den Magnituden 7,4 und 6,7, die innerhalb von drei Tagen stattfanden. Das sind gute Gründe, die Studie erneut in Erinnerung zu rufen, auch wenn ich bereits im September darüber berichtet habe.

Quellenangabe Studie: Heinicke, J., Wassermann, J., Weber, M., & Fäh, D. (2023). Using remote-dynamic earthquake triggering as a stress meter: Identifying potentially susceptible faults in the Lower Rhine Embayment near Weisweiler, Germany. Geophysical Journal International, 244(1), 292–312. https://doi.org/10.1093/gji/ggaf412, Lizenz der CC