EU: Streit um die Zeitumstellung

EU-Rat streitet sich um das Ende der Sommerzeitumstellung – und kennt offenbar nicht die kleinsten geografischen und geschichtlichen Zusammenhänge

Uneinigkeit und Bürokratiemonstererschaffer sind zwei Schlagworte, die mir sofort als Assoziationen im Zusammenhang mit dem EU-Parlament und dem Rat der Europäischen Union einfallen. Prinzipiell halte ich die Grundidee der EU für großartig und bin sogar der Meinung, dass wir bis 2050 die „Vereinigten Staaten von Europa“ anstreben sollten, doch angesichts aktueller Diskussionen und der Unfähigkeit, kleinste Probleme zu lösen, bin ich mir manchmal nicht sicher, ob das eine gute Idee ist.

Als einer, der in seinen Berichten aus allen Erdteilen häufig mit Uhrzeiten jonglieren muss, verfolge ich die aktuellen Debatten um die Sommerzeit kopfschüttelnd: Nach einer EU-weiten Befragung 2018 sprach sich eine deutliche Mehrheit gegen das halbjährliche Drehen an der Uhr aus. Das Europäische Parlament stimmte 2019 für die Abschaffung, doch im Rat der Mitgliedstaaten herrscht Stillstand. Ohne deren Zustimmung bleibt alles beim Alten: Am letzten Sonntag im März wird auf Sommerzeit umgestellt, Ende Oktober zurück auf Winterzeit.

Symbolbild

Mehrere Länder, darunter Spanien und Polen, drängen inzwischen auf Bewegung. Sie argumentieren, die Umstellung sei gesundheitlich belastend und bringe kaum noch Energieeinsparung. Das Problem: Fiele die Zeitumstellung weg, müsste jedes Land entscheiden, ob es dauerhaft Sommer- oder Winterzeit beibehält. Unterschiedliche Entscheidungen würden Europas Zeitzonenlandschaft zersplittern – mit Folgen für Verkehr, Handel und Kommunikation.

Doch eigentlich ist diese Diskussion überflüssig, denn die sogenannte Winterzeit entspricht der Standardzeit eines Landes. Sie orientiert sich am Lauf der Sonne: Die Erde dreht sich in 24 Stunden einmal um sich selbst, jede Zeitzone umfasst etwa 15 Längengrade. In der geografisch „richtigen“ Standardzeit steht die Sonne um die Mittagszeit am höchsten Punkt. Doch politische Entscheidungen haben viele Länder von dieser Ordnung entfernt. Frankreich und Spanien liegen beispielsweise westlich genug, um eigentlich nach Greenwich-Zeit (UTC+0) zu leben, folgen aber seit Jahrzehnten der Mitteleuropäischen Zeit (UTC+1).

Fachleute sehen in einer Rückkehr zur geografischen Standardzeit Vorteile für Gesundheit und Tagesrhythmus: Morgendliches Sonnenlicht stabilisiert den inneren Takt, und „Mittag“ würde wieder dem realen Sonnenhöchststand entsprechen. Ob sich die EU darauf einigen kann, ist unklar. Bis dahin bleibt Europa im Takt zweier Zeiten – und stellt seine Uhren weiter zweimal im Jahr um.

Uhrzeit und physikalische Zeit in der Relativitätstheorie

Doch was ist das eigentlich, die „Zeit“? Was wir als Uhrzeit betrachten, ist ein künstliches Konstrukt, eine Konvention, die eigentlich darauf basiert, Geschwindigkeiten periodischer Bewegungen zu takten. Uhrzeit dient dem Menschen als praktisches Maß für den Ablauf der Zeit, ohne diese selbst zu beschreiben. Die physikalische Zeit hingegen beschreibt den tatsächlichen Ablauf von Ereignissen in der Natur und verläuft nicht unbedingt linear – etwas, dass für uns nur schwer verständlich ist. Nach Einsteins Relativitätstheorie ist diese physikalische Zeit nicht überall gleich: Sie hängt von Geschwindigkeit und Gravitation ab. Ein Beobachter in der Nähe eines massereichen Himmelskörpers erlebt Zeit langsamer als jemand weit entfernt. Auch hohe Geschwindigkeit verlangsamt die Zeit relativ zu einem ruhenden Beobachter, ein Naturphänomen, das als Zeitdilatation bekannt ist.

Eine anschauliche Analogie (die nicht von mir stammt) zwischen Uhrzeit und physikalischer Zeit im Sinne der Relativitätstheorie ist der Vergleich zwischen Landkarte und Gelände: Die physikalische Zeit entspricht dem Relief eines Geländes – unendlich vielfältig und nie gleich. Die Uhrzeit ist die zweidimensionale Landkarte, die wir zeichnen, um uns im Gelände zurechtzufinden. Sie gibt uns ein praktisches Raster, erleichtert Planung und Kommunikation, bildet aber nur annähernd ab, wie die physikalische Zeit tatsächlich „verläuft“.

Im Angesicht der Komplexität des Zeitbegriffes ist der sechsjährige Stillstand des EU-Parlaments umso unverständlicher: Die Unfähigkeit, sich auf etwas zu einigen, was per Definition bereits im Jahre 1884 beim Internationalen Meridian-Kongress in Washington D.C. beschlossen und weltweit eingeführt wurde, kann ich nur mit einem zweifelnden – und zeitlosen – Kopfschütteln quittieren. Manchmal wäre das Machtwort eines weisen Königs besser, als endlose Stillstandsdebatten von Besserwollern.