-Eine ernst gemeinte Gesellschaftssatire-
Stromboli ist der aktivste Vulkan der Liparischen Inseln nördlich von Sizilien. Gut 924 Meter erhebt sich der Inselvulkan über das Tyrrhenische Meer. Stromboli ist mindestens seit der Römerzeit daueraktiv und als Leuchtfeuer des Mittelmeers bekannt. Diesen Ruf verdiente sich der Lavaspeier wegen seinen zuverlässigen Eruptionen, die mehrmals in der Stunde glühende Schlacken in die Luft speien. Manchmal fliegen die Lavabrocken dabei bis zu 300 m hoch. Selten kommt es zu stärkeren Explosionen, bei denen die gesamte Kraterterrasse nebst dem Pizzo, der sich gut 200 m über den Krater erhebt, mit vulkanischen Förderprodukten eingedeckt wird. Eigentlich unnötig zu erwähnen, dass es dann für etwaige Vulkanbeobachter brenzlig wird. Über die Jahre hinweg kamen so mehrere Personen zu Schaden bzw. ums Leben. Doch das hielt kaum jemanden davon ab, den Gipfel des Vulkans zu erstürmen, um einen Blick in den Höllenschlund zu werfen.
Stromboli: Schicksalstage einer Vulkaninsel
So war das zumindest bis zum Jahr 2019, als Stromboli begann eine Serie paroxysmaler Eruptionen zu erzeugen, bei denen sogar pyroklastische Ströme entstanden, die über die Feuerrutsche Sciara del Fuoco glitten und aufs Meer hinaus liefen. Spätestens seitdem ist alles anders am Stromboli, der über Jahrzehnte hinweg ein Magnet für Vulkanbeobachter war, die sich auf Neudeutsch Volcano-Spotter oder Vulkanspotter schimpfen. Für viele dieser vom Aussterben bedrohten Art war Stromboli der Einsteigervulkan: Hier ging man auf Tuchfühlung mit dem Vulkan und stellte den ersten Kontakt mit rotglühender Lava her! Doch wie heißt es so schön? Alles Gute hat ein Ende! Im Jahr 2019 wurde der Aufstieg endgültig untersagt. Genau genommen wurde der Aufstieg ohne Führer schon im Jahr 2007 unter Bußgeldandrohung offiziell verboten, doch tatsächliche Sanktionen wurden selten verhängt. Der Niedergang der Freiheit auf Stromboli begann tatsächlich noch früher: Aufstiegsverbote wurden bereits nach einem Vorfall zur Jahreswende 2002/03 eingeführt. Bis zu diesem Zeitpunkt war man auf Stromboli so gut wie frei. Individualtouristen teilten sich den Vulkan mit geführten Gruppen und es gab eine (fast) friedliche Koexistenz. Natürlich wurde es im Sommer oftmals zu voll am Gipfel und auf der Cima, jenem Grat, der zum Gipfel führte und einen aufsteigenden Viertelkreis um den Krater zieht. Im Dezember 2002 kam es zu einer Flankeneruption, in dessen Folge ein Teil der Kraterwand kollabierte und ins Meer rutschte, was einen kleinen Tsunami verursachte, der die Küstenpromenade von Stromboli-Ort verwüstete. Das war der eigentliche Schicksalstag von Stromboli, denn nach dem Tsunami kamen die Vulkanologen, der Zivilschutz und die Polizei. Die einen spickten den Vulkan mit ihren Instrumenten, die anderen mit Verbotsschildern und Bußgeldzetteln. Bis zu diesem Zeitpunkt wurde der italienische Inselvulkan- von dem man zu Unrecht annahm, er sei harmlos- nur rudimentär überwacht. Jahrelang befand sich der einzige analoge Seismograf in der Obhut eines deutschen Vulkanfotografen, der auf Stromboli lebte und den Vulkan als sein Künstleratelier betrachtete. Nach dem Mini-Tsunami durfte man nur noch in geführten Gruppen zum Krater aufsteigen, die sich nur kurze Zeit dort aufhielten. Für alle anderen war an einem Aussichtpunkt auf 400 Höhenmeter Schluss. Wer alleine aufstieg und oben erwischt wurde, wurde für gewöhnlich postwendend wieder runtergeschickt, nachdem seine Personalien aufgenommen wurden. Wiederholungstäter wurden mit einem Bußgeld sanktioniert. Trotzdem hatte man in der Nachsaison noch eine Chance auf ein unbeschwertes Vulkanerlebnis.
Sperrung eines Vulkans
Nach den Paroxysmen von 2019 also das offizielle Besteigungsverbot für alle, auch für geführte Gruppen. Seitdem kam und kommt es immer wieder zu Phasen erhöhter Aktivität am Stromboli, die einen Aufenthalt in der Gipfelregion tatsächlich gefährlicher machen als es zuvor der Fall gewesen war. In ruhigeren Phasen wurden einige Versuche unternommen, den Vulkan wieder für Gruppen zu öffnen, doch diese währten nicht lange. Immerhin konnten Individualtouristen noch bis zu einem ersten Aussichtspunkt auf 290 Höhenmeter wandern. Gruppen wurden bis auf 400 Höhenmeter geführt. Der Strom an Vulkantouristen ließ merklich nach. Dann folgten die weltweit unsäglich dumm gemanagten Coronajahre und der Tourismus brach völlig zusammen. Im letzten Jahresviertel 2022 erfolgte eine neue Phase erhöhter Aktivität, bei der Lavaströme aus dem Krater überliefen. Bei einigen dieser Ereignisse entstanden abermals pyroklastische Ströme. Soviel zur apokalyptischen Vorgeschichte der letzten Jahre.
Alte Liebe rostet!
Die Hauptgeschichte ist schnell erzählt: im März 2023 kehrte ich nach 7-jähriger Abstinenz auf Stromboli zurück. Es war wie die zufällige Begegnung mit einer alten Liebschaft. Zuerst verhält man sich ein wenig verlegen, um dann wieder vertraut und ein wenig wärmer zu werden. Erinnerungen an die gemeinsame Zeit werden wach, doch die alte Leidenschaft ist verblasst. Zu weit entfernt loderte das Erdfeuer von Quota 400 aus gesehen, als dass ich voll entflammt wäre, obwohl die Eruptionen durchaus ansehnlich waren und mit einem Teleobjektiv mit 200 mm Brennweite eingefangen werden konnten. Dabei bewegte ich mich bereits auf Quota 400 im verbotenen Areal. Ein umgekipptes Schild am Aussichtspunkt auf 290 Höhenmeter wies darauf hin, dass man sich in höheren Lagen nicht erwischen lassen sollte, denn das könnte mit Geldbußen von 500 € bestraft werden. Aufgrund des Verbots, des starken Windes und dem kontinuierlichen Lavaspattering aus einem Schlot im Nordkrater sah ich von einem Aufstieg bis zum Gipfel ab. Zwar kann man eine Aktivitätssteigerung am Stromboli nicht immer anhand geophysikalischer Parameter prognostizieren, aber das Lavaspattering ist ein recht sicheres Vorzeichen, dass sich die Aktivität innerhalb von Tagen oder Stunden ändern wird. So kam es auch, denn am nächsten Morgen lief ein Lavastrom aus dem Krater über. Doch zu dieser Zeit schlummerte ich selig in meinem Pensionszimmer.
Sanktioniertes Stromboli
Mein Pensionsgastgeber erzählte, dass die Sanktionen von Seiten der Polizei völlig willkürlich verhängt werden und dass es kein festes Muster der Kontrollen gäbe: Erst letztens musste ein Paar 1000 € bezahlen. Tatsächlich empfing ich ein paar Tage später eine E-Mail von einer befreundeten Vulkanfotografin, dass sie und ihre Begleitung erwischt worden seien und mit 1000 € sanktioniert wurden. Allerdings haben sie sich nicht auf Quota 400 befunden, sondern am unteren Aussichtspunkt auf 290 Höhenmetern. Nach ihrer Aussage sind Wanderungen bis auf 290 Höhenmeter jetzt nur noch mit Führer erlaubt. Die Quota 400 ist bereits für alle Sperrgebiet. Explizite Warnschilder gibt es bis zur Quota 290 nicht, sieht man einmal davon ab, dass der Aufstiegsweg kurz vor der Pizzeria am Punta Labronza wegen Bauarbeiten gesperrt ist. Bei den verheerenden Unwettern letztes Jahr wurde ein gutes Stück des Weges weggeschwemmt. An einer Stelle klafft ein fast 3 m tiefer Abgrund, an dem man sich auf einem schmalen Streifen vorbeiquetschen muss. Wer hier nachts nicht aufpasst, stürzt schnell ab. Auch an anderen Stellen am Ortsrand klafften Erdfälle. Einige Haustüren waren im unteren Bereich mit Brettern verbarrikadiert, als Schutz vor etwaigen Schlammmassen, sollte es zu weiteren Unwettern kommen. Die Piazza zwischen Kirche und Café Ingrid wurde komplett aufgerissen und saniert. Die verbrannten Hänge infolge des Macchiabrandes vom Mai 2022 waren bei bestem Willen nicht zu ignorieren. Zwar gab es an einigen Stellen wieder zartes Grün niedriger Bodenbedecker, doch das ägyptische Schilf und die Ginsterbüsche schlagen wohl so schnell nicht mehr aus.
Paradoxe Sicherheitspolitik
Der Zustand der meisten Gebäude war etwas besser als ich es kurz zuvor noch auf Vulcano erlebte, doch auch hier war die Patina, die vielen Gebäuden anhaftete, kaum zu übersehen und für meinen Geschmack etwas dick aufgetragen. Was mich auch ein wenig erstaunte, war der Umstand, dass jegliche Innovationen an Stromboli vorbeigegangen zu sein scheinen. Anstatt Energie über Erdwärme, Solarzellen und kleine Windturbinen zu generieren, befeuert man noch das alte Heizölkraftwerk an der Küstenpromenade. Wer einen Kamin hat, heizt mit Holz, das umweltfreundlich per Schiff zur Insel transportiert werden muss. Die Gästezimmer werden ebenfalls umweltfreundlichst per stromsparender Klimaanlage geheizt. Und das zu Zeiten, in denen man uns in Deutschland immer weiter knebeln will! Doch geknebelt sind die Strombolianer genug, das Aufstiegsverbot trifft viele Menschen hart, denn zum großen Teil lebte man hier bislang vom Vulkantourismus. Nicht nur ich stelle die Frage, in was sich unsere sicherheitsverwöhnte Gesellschaft da hineinmanövriert, indem man die Sicherheit der Menschen dadurch gewährleisten will, dass man jene, die bereit sind Risiken einzugehen, mit Bußgeldern belegt und wie Verbrecher verfolgt?! Eine Praxis, die sich seit der Einführung der (sicher sinnvollen) Anschnallpflicht wohl immer weiter durchsetzt. Neben Freiheitseinschränkungen für Vulkanspotter und Fotografen werden hunderte Menschen ihrer finanziellen Lebensgrundlage beraubt, darunter fallen nicht nur die Gastronomen, Hoteliers und Vulkanführer von Stromboli, sondern auch reisende Vulkanfotografen und Schreiberlinge wie ich einer bin. Ob man mit dieser Mentalität den Wilden Westen besiedelt hätte oder Menschen zum Mond geflogen wären? Wohl kaum!
Rauchen gefährdet ihre Gesundheit
Nicht nachvollziehbar und geradezu paradox ist es für mich unter Sicherheitsaspekten, dass Bergsteiger ungehindert halsbrecherische Gratwanderungen machen können und Skifahrer Lawinen auslösen dürfen ohne bestraft zu werden. Warum schließt man nicht alle Gipfel des Hochgebirges? Unfälle mit Todesfolge sind an Vulkanen bestimmt nicht dramatisch höher als im alpinen Extremsportbereich. Und wie viele Menschen ertrinken jährlich in Flüssen, Seen und der Brandung gefährlicher Ozeane? Trotzdem gibt es (noch) kein generelles Badeverbot. Würde es nicht reichen, Vulkantouristen über die Gefahren aufzuklären, die sie an einem aktiven Vulkan erwarten? Vielleicht sollte man dem Beispiel der Zigarettenindustrie folgen und abschreckende Bilder verbrannter Leichen am Vulkanaufstieg aufhängen, ganz nach dem Motto „Rauchen gefährdet ihre Gesundheit und endet meistens tödlich“. Wobei eins sicher ist: Lebendig kommen wir alle nicht aus dem Leben raus! Der Konsum von gesundheitsschädlichen Drogen, Extremsport und schnellfahrenden Autos sind gesellschaftlich akzeptiert. Sogar Sex kann tödlich enden, nicht nur für männliche Spinnen und Gottesanbeter. Wird er deshalb verboten? (O.K. das kommt bestimmt auch noch, in manchen Bereichen mischt sich der Gesetzgeber ja dort bereits ein und ich frage mich generell, wer schützt uns vor dem Schutz?) Die Kosten für Folgeschäden teilt sich die Gesellschaft. Wer einen aktiven Vulkan besteigt, gilt oftmals als verantwortungsloser Idiot. Aus einem einzigen Grund: Die meisten Menschen haben einfach keine Ahnung vom Vulkanismus (allerdings auch nicht von männlichen Spinnen und Gottesanbetern) und können die tatsächlichen Gefahren nicht einschätzen. Dazu zählen scheinbar auch Behörden, die wahrscheinlich weniger an die Sicherheit der Vulkanstürmer interessiert sind, als daran, sich juristisch unangreifbar zu machen. Man fürchtet (zu recht) Anwälte der Angehörigen potentieller Opfer des Vulkans und das vermeintlich Unbekannte. Und klar, Vulkane haben keine Lobby. Das zu ändern versuche ich seit über 30 Jahren. Leider mit bescheidenem Erfolg bei den betreffenden Behörden.
Alternative Ziele für potenzielle Selbstmörder
Was bleibt? Für mich ein fahler Nachgeschmack! Sollten die Restriktionen am Stromboli nicht deutlich gelockert werden, sehe ich für den Vulkantourismus dort schwarz, was natürlich Ziel einer kommunalen Regierung ist, die den Menschen keine brauchbaren Alternativen bietet und die Insel bestimmt am liebsten räumen würde. Um ein wenig Baden zu gehen, gibt es attraktivere Ziele, die schneller zu erreichen sind, mehr Komfort bieten und billiger sind. Um es attraktiver zu machen, müsste man zum Zustand vor 2019 zurückkehren und Individualtouristen wenigstens nicht jagen und bestrafen, wenn sie trotz offiziellem Verbot das Risiko in Kauf nehmen zum Gipfel aufsteigen. Ansonsten kann ich echten Vulkanspottern keine Empfehlung für Stromboli aussprechen, außer vielleicht, wenn sie mit Kindern unterwegs sind, die einmal die Lavagaben aus der Ferne sehen sollen. Der Ätna ist nur in aktiven Zeiten eine Alternative zum Stromboli, denn hier sieht man vergleichsweise selten eruptive Tätigkeit. Sicher kann man beide Vulkane besuchen, wenn man ein wenig Vulkanluft schnuppern will und die Landschaften genießen möchte, doch echtes Vulkanfeeling kommt nur bedingt auf. Wer einen ersten Vollkontakt mit einem daueraktiven Vulkan sucht, der ist im Augenblick am Fuego in Guatemala ganz gut aufgehoben. Die Anreise dauert kaum länger, als wenn man sich zum Stromboli aufmacht, ist dafür aber natürlich teurer. Zwar ist man am Fuego im Camp am Acatenango auch relativ weit von den Eruptionen entfernt, aber man befindet sich wenigstens (fast) auf Augenhöhe mit dem Gipfel und den Verantwortlichen vor Ort. Zudem sind die Eruptionen oft stärker als am Stromboli. Wer es wagt, kann auch auf den Grat zwischen Fuego und Acatenango steigen und die Eruptionen aus nächster Nähe erleben, geht dabei aber ein entsprechendes Risiko für Leib und Leben ein. Diese Annäherung ist zwar auch Verboten, wird aber oft praktiziert und wurde bis jetzt meins Wissens nach noch nicht sanktioniert. Und bitte, springt nicht gleich in den Krater! Respekt erlangt man weder durch Selbstmord, noch dadurch einfach alt zu werden und zu sterben.
Sicherlich kann man diesen Artikel und meine Meinung zu der Überreglementierung unserer Gesellschaft kontrovers diskutieren. Im neuen Forum könnt ihr das gerne tun! Vielleicht habt ihr auch andere Informationen zu den Aufstiegsbedingungen?